„Ich empöre mich, also sind wir.“ Was?!
Dieser Satz sagt aus, dass man eigene Gedanken und Taten kritisch hinterfragt und dabei das Gefühl der Empörung hegt. Infolgedessen kommt es zum „Wir“, weil dieses Gefühl dazu führen kann, dass Menschen sich verändern. Stimmt das? Und welche Auswirkungen hat Empörung für das einzelne Individuum und die Gesellschaft? Gerade in Krisenzeiten ist dieses Thema von hoher Wichtigkeit und Aktualität, da Krisen viel Empörung mit sich bringen und gemeinschaftlichen Zusammenhalt erfordern. Ich stehe diesem Zitat zum großen Teil affirmativ gegenüber.

Empörung meint eine emotionale Entrüstung, einen Aufstand, Meuterei oder Proteste. Es ist ein negativ konnotiertes Wort, welches ich häufig mit aufgebrachten Menschen in Verbindung bringe. Dieses Gefühl entsteht dann, wenn etwas als nicht gerechtfertigt oder als Verstoß gegen soziale Regeln angesehen wird. Bei der Betrachtung des Wortes fällt auf, dass in dem Wort „empor“ drinsteckt, was nach oben verweist, in die Höhe, eventuell an eine dritte und allmächtige Instanz. Auch bei Betrachtung des französischen Ursprungs fällt auf, dass das Wort „outre“ auf das Jenseits verweist. So kann es auch in dieser Hinsicht ausgelegt werden, dass es die Existenz eines solidarischen Ichs gibt. Dies kann vielen gläubigen Menschen Stütze und Kraft bieten. Daraus resultiert auch die Fragestellung, ob und inwiefern uns Empörung lenkt bzw. zusätzlich polarisiert.
An dieser Stelle lässt sich das Zitat „Ich denke, also bin ich.“ von Descartes anführen, in welchem er schlussfolgert, dass der Glaube des Menschen an Gott beweist, dass es einen Gott gibt. Andererseits besagt seine Aussage auch, dass die menschlichen Wahrnehmungen angezweifelt werden sollen, weshalb auch sein Zitat kritisch zu betrachten ist.
Empörung ist es häufig, was uns zu einer Gesellschaft, zu einem „WIR“ macht, aber gleichzeitig trennt es Menschen und spaltet eine Gesellschaft. Denn das Empfinden von Empörung ist individuell. Was für den einen skandalös ist, ist für den anderen unbedeutsam und andersrum. Das Resultat ist Vielfalt und Meinungsverschiedenheit und das ist es, was eine Gesellschaft ausmacht.
Ein Beispiel wäre, dass ich mit meinen Freundinnen am Tisch sitze und wir uns darüber lustig machen, wie mein Vater seinen Kaffee verschüttet, während die Eltern sich über die „Jugend von heute“ ohne Manieren aufregen. So wird eine Verbindungslinie zwischen den beiden verschiedenen Themen geschaffen.: Empörung bei den Eltern über die Reaktion von mir und meinen Freundinnen und der Humor als Form der Empörung bei uns, den jugendlichen Freundinnen.
Empörtheit bewegt uns dazu, uns zu engagieren und uns für Veränderungen einzusetzen, weil sie uns Fehler, Probleme, Miseren, Ungerechtigkeiten und weiteres erkennen lässt. Es entwickelt sich ein Drang, politisch zu handeln. Heutzutage gibt es immer mehr Debatten, Demonstrationen und Proteste, an denen viele Menschen beteiligt sind. WIR sind betroffen! Es schafft Solidarität.
ABER: Es ist nicht Empörung allein, die uns zu präzisen Taten und Handlungen auffordert. Vielleicht ist dieses Gefühl ein Teil des Antriebs, aber meist nicht der alleinige Beweggrund für einen Wandel. In den 60ern fungierte Empörung auch als treibende Kraft zum Beispiel für das civil rights movement, aber nicht als einziger Auslöser.
Wenn ein Mensch, nachdem er sich empört, verändert, kann dies andere Menschen beeinflussen und zur kollektiven Veränderung antreiben. Empörung ist nicht nur ein subjektives Gefühl, sondern auch eine gemeinschaftliche Erfahrung, die Menschen vereinen kann. Dieses Gefühl gibt es immer und verbindet Menschen! Ob man sich über kaltes Essen, ausgefallene Bahnen, geringen Lohn empört – oder aber über große Massaker wie Kriege. Dies lässt uns reflektieren und bringt uns dazu, Widerstand zu leisten, da wir Menschen eine bessere Zukunft anstreben, auch für folgende Generationen.
Andererseits gibt es immer Einsamkeit. Empörung schafft nicht in jedem Fall ein Netzwerk innerhalb der Bevölkerung, denn es gibt immer abweichende Meinungen und andere Identitäten. Aber das ist kein stichhaltiges Argument, weil das Alleinsein, wenn es gewünscht ist, „bekämpft“ werden kann und Diversität Teil einer Gesellschaft ist.
Menschen sind Teil einer Revolte und können sich dieser anschließen. Ob die Revolte erfolgreich oder erfolglos ist, steht infrage. Aber die Aussage von Albert Camus steht in seinem Werk mit dem Titel „Der Mensch in der Revolte“. Mit diesem Werk intendiert er vermutlich, die Menschen zu Veränderungen zu motivieren und dazu zu ihrer Meinung zu stehen.
Nicht außer Acht gelassen werden darf der Fakt, dass Aufgebrachtheit von Menschen sehr oft benutzt werden kann und wird, um diese zu manipulieren, was negative Auswirkungen nach sich zieht.
Camus vertritt außerdem die Philosophie des Absurden und geht von der These aus, dass das Leben der Menschen absurd und nicht lebenswert sei. Infolgedessen ist der Selbstmord die wahrscheinlichste Reaktion auf die Erkenntnis des Absurden. Camus bemüht sich allerdings darum zu verdeutlichen, dass dies keine geeignete Reaktion auf das Absurde ist. Inwiefern ist eine Aussage wie diese von ihm dann noch ernst zu nehmen? Auf der anderen Seite lässt sich argumentieren, dass die Absurdität der Menschheit durch die Menschheit und ihre Gefühle, wie beispielsweise Empörung, deutlich wird. Durch Selbstmord wäre zudem die Möglichkeit, eine Veränderung herbeizurufen oder gar nach ihr zu streben, erstickt. Der größte Teil seiner Philosophie ist meiner Meinung nach heutzutage hinfällig. Dennoch kann in seiner Aussage „Ich empöre mich, also sind wir.“ Gegenwärtigkeit gefunden werden.

Abschließend ist festzuhalten, dass menschliches Leben ambivalent und vielschichtig ist. Wir leben dauernd in einer Welt, die vergleichbar mit einem schlechten Theaterstück ist: missverständliche Dialoge, wechselhafte Kulissen, ein laufendes Meer, ein Gefühlschaos. Gerade dieses Gefühlschaos weckt Potenzial, bringt uns zum Nachdenken und zu kritischem Hinterfragen, Empörung entwickelt sich zum Antrieb für menschliche Handlungen. In diesem Zitat ist das „sich (selbst) empören“ als Zeichen für Solidarität zu verstehen. Die Argumente, die der Aussage zustimmen, insbesondere, dass ein Mensch mehrere andere Menschen beeinflussen und dies zu einem kollektiven Zusammenschluss führen kann, sind für mein Empfinden am überzeugendsten.

Bild: KI-generiert